Existenz – wie man diesen Begriff zu verstehen hat


Schon einige Philosphen und Physiker – u.A. auch Kant – haben klar erkannt:

Wir wissen nicht (und können ganz grundsätzlich nicht wissen), in welch konkreten Form die Wirkichkeit existiert. Was wir als real erachten, ist Deutung von Impulsen, die unsere Sinnesorgane erreichen – mehr nicht.

Farbe etwa, existiert höchstens als Wellenlänge elektromagnetischer Strahlung.

Die theoretischen Physiker sind heute der Meinung, dass Einsteins Theorie uns gezeigt habe, dass der Raum nur existiert als Abstand zwischen Objekten – von Objekten jeder nur denkbaren Größe, angefangen mit Elementarteilchen bis hin zu ganzen Sternen: so wie es schon Leibniz vermutet hat.

Abstand aber ist gegeben als Anzahl der Schwingungen, die in einer bestimmten Variante eines Cäsium-Atoms passieren, während es sich schnellstmöglich von A nach B bewegt (wo A und B die beiden Objekte sind, von deren Abstand wir sprechen wollen). Wir interpretieren das Cäsium-Atom als Uhr und die Anzahl dieser Schwingungen als Zeit, die vergeht, während sich das Atom von A nach B bewegt. Zeit ist demnach nur Ausdruck von Veränderung. Wir wissen nicht, ob sie zudem noch in irgend einer konkreteren Form existiert.

Carlo Rovelli – ein theoretischer Physiker, der u.A. auch Zeitforscher ist – schrieb (nicht wörtlich, aber sinngemäß auf Seite 94 seines Buches Die Ordnung der Zeit):

Die Veränderungen, denen das Universum unterworfen ist (die Ticks jener Uhren) lassen sich nicht als eine einzige Aufeinanderfolge von Veränderungen des Zustandes des Universums organisieren: Die Zeitstruktur der Welt ist nicht nur eine einfache lineare Abfolge von Augenblicken. Aber das macht die Zeit weder inexistent noch illusorisch.

Wenn also viele glauben, die Zeit sei nur Illusion, der Raum aber konkret, so sieht Carlo Rovelli das eher umgekehrt.

Tatsache ist (wie Rovelli ganz richtig feststellt): Das Wort “existiert” hat für sich allein gar keine Bedeutung. Alles, von dem wir sagen, es existiere, kann nur in dieser oder jener Rolle existieren.

Dass eine Sache existiert, kann von Fall zu Fall völlig unterschiedlich gemeint sein: ein Gesetz, ein Stein, eine Nation, ein Krieg, eine Figur aus einer Komödie, der Gott einer Religion, eine Märchengestalt, das Einhorn, von dem wir träumen, die große Liebe, eine Zahl, die Welt, … – all das existiert, aber jeweils doch in völlig unter­schiedlichem Sinne. Pinocchio etwa existiert als literarische Figur, aber nicht als Mensch, den man anfassen kann.

Kurz: Danach zu fragen, ob Raum oder Zeit existieren, wie “real” sie also sind, bedeutet einfach nur, danach zu fragen, in welcher Bedeutung wir diese Worte gebrauchen wollen. Das wiederum hängt davon ab, wen man frägt: Dich, mich, einen Physiker oder einfach nur ein Kind, dem all diese Erwägungen fremd sind.

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Nur Markus Gabriel sollten wir nicht fragen: Er nämlich behauptet, dass “Polizei­­uniform tragende Einhörner auf der Rückseite des Mondes” existieren, obgleich die Welt als Ganzes nicht existiere. Letzteres sei daran zu erkennen, dass jeder Versuch, ihren Inhalt aufzuzählen, scheitern muss.

Geht es wirklich noch einfältiger? Kann man das noch als ernst zu nehmendes Ergebnis eines Wissenschaftlers bezeichnen? Macht es Sinn, darüber ein Buch zu schreiben? Oder noch weiter über die Frage der Existenz der Welt zu forschen, wie Gabriel es zu Ende seiner Antrittsvorlesung versprach?

Warum – so frage ich mich – kann ausgerechnet der Inhaber eines Lehrstuhls für Existenzphilosophie nicht einsehen, dass Existenz stets nur rollenspezifisch gedachte Existenz sein kann?

Das ist umso erstaunlicher, wo er doch selbst darauf besteht, dass man auch alles nur in Gedanken Existierende als existent anzusehen habe.

Auf die Feststellung der Journalistin Silke Weber: “Sie wollen die Trennung zwischen der Welt und der Vorstellungswelt aufsprengen und widerlegen dabei eben mal Philosophen wie Immanuel Kant, Friedrich Nietzsche, Jacques Derrida …” beeilt sich Gabriel zu antworten: … mindestens die, ja. [Zeit Online: Interview mit Markus Gabriel vom 7.11.2014: “Real ist, was real ist”.]

Meiner Ansicht nach hat Markus Gabriel – wahrscheinlich, weil er mal was über die Nichtexistenz der Menge aller Mengen gelesen, das Argument dort aber nicht verstanden hat – keinen einzigen dieser Philo­so­phen widerlegt!

Schade, dass er nicht bereit ist, mit mir oder anderen darüber zu diskutieren.

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