Nach Gabriel ist die Welt “das Sinnfeld aller Sinnfelder”. Zu existieren bedeute, in einem Sinnfeld aufzutreten.
Was genau man sich unter Sinnfeldern oder “im Sinnfeld auftreten” vorzustellen hat, wird durch Gabriel nicht explizit definiert.
Man erfährt nur, dass Sinnfelder Sinn erzeugen (so dass die Welt – anders als Wittgenstein dachte – nicht nur aus Dingen und Tatsachen bestehe, sondern zusätzlich noch Sinnfelder enthalten müsse: Ohne sie nämlich könne es Tatsachen gar nicht geben).
Bis hierher kann man noch folgen. Dann aber baut Gabriel Mist: Er stellt fest, die Welt könne nicht existieren, da sie nicht Teil ihrer selbst sein kann.
Der staunende Laie frägt sich: Warum kann die Welt in keinem Sinnfeld auftreten, wo wir doch gerade über sie nachdenken?
Dass Gabriel diese wichtige Frage nicht klärt, zeigt uns, wie wenig gründlich durchdacht sein allzu flüchtig definiertes Konzept der Sinnfelder ist.
Und so werte ich das Erscheinen seines Buches “Warum es die Welt nicht gibt” einfach nur als Paukenschlag, der Gabriels erfolgreiche Selbstvermarktung in Schwung brachte.
Sich selbst und seine sprachlos staunenden akademischen Kollegen und Lehrer, die ihm seine als Logik präsentierte Unlogik stillschweigend abgekauft haben (sich also für dumm verkaufen ließen), hat er mit seiner nicht nachvollziehbaren, zudem noch von Vortrag zu Vortrag unterschiedlichen Argu¬mentation unsterblich blamiert. So jedenfalls sehe ich das.
Wer Gabriels Argumente auch nur flüchtig prüft, dem wird schnell klar, warum der renommierte österreichische Hochschullehrer für Philosophie, Prof. Peter Strasser, Gabriels Sinnfeld-Ontologie als “ontologisches Larifari” eingeordnet hat. Wer denkt, Strasser hätte da zu hart geurteilt, der sollte sich einfach mal anhören
- Gabriels Antrittsvorlesung,
- einen Vortrag, in dem er sein Buch der Öffentlichkeit vorstellt,
- und insbesondere einen fast zweistündigen Vortrag, in dem Gabriel anderen Wissenschaftlern erklärt, vor welch großen Schwierigkeiten stehe, wer erkennen möchte, ob die Welt denn überhaupt existieren kann (als die Gesamtheit von allem).
Überlegen wir uns nun, worin Gabriels Argumentationsfehler bestehen:
Existent zu sein, so sagt er, bedeute, in einem Sinnfeld aufzutreten. Da er nirgendwo definiert, was genau man sich darunter vorzustellen habe, tut er so, als wäre es selbstverständlich, dass man das Sinnfeld als Menge sehen könne und was darin auftritt, einzig und allein Elemente der Menge sein können. Dass man in einer Menge aber z.B. auch all ihre Teilmengen findet, hat er nicht bedacht.
Gabriel will uns weismachen, dass die Welt, das Sinnfeld aller Sinnfelder, wie er meint, etwas ist, das nicht — wie jedes andere Ding — mindestens als Teil seiner selbst auftritt (jede Menge ist größte Teilmenge ihrer selbst).
Man erkenne das daran, dass die Welt neben Dingen und Sinnfeldern auch Tatsachen enthält (man könnte sie als Beschreibung von Eigenschaften der Welt sehen). Wer nun aber versuchen würde, alle in der Welt gegebenen Dinge, Sinnfelder und Tatsachen aufzulisten, stünde vor dem Problem, dass mit jedem weiteren Eintrag in die Liste eine neue Tatsache hinzukäme, welche die Welt erweitert (eine Tatsache vom Typ “… ist nun in die Liste aufgenommen“), so dass man mit der Auflistung der Welt nie fertig würde. Das, so Gabriel, zeige, dass die Welt nicht existieren könne. Den Beweis bleibt er schuldig.
Was er uns auch nicht sagt: Für Mengen wird definiert, dass sie sich niemals selbst als Element enthalten. Die Welt aber ist wie sie ist: Wir sind nicht frei zu definieren, welche Eigenschaften sie haben solle.
Würde Gabriel, dem Rechnung tragend, sein Modell dahingehend abändern, dass er sagt “in einem Sinnfeld aufzutreten bedeutet, Teil des Sinnfeldes zu sein“, bestünde keine Notwendigkeit, von Mengen oder gar Listen zu reden und der von ihn gesehene Grund, warum es die Welt als Ganzes nicht geben kann, würde entfallen – sein “Forschungsergebnis” sich also in Luft auflösen, woraus man erkennt, dass es ohne jeden Wert ist (!).
Vorschlag für besser durchdachtere Existenzphilosophie:
Man definiere:
- Die Welt ist Vereinigung aller Sinnfelder.
- Sinnfelder interpretieren Wirklichkeit, d.h. sie ordnen Teilen der Wirklichkeit Sinn zu.
- Ein Sinnfeld S(G) ist alles, über das ein Gehirn G nachdenkt oder jemals nachgedacht hat.
- Zu existieren bedeutet, in mindestens einer Rolle Teil eines Sinnfeldes zu sein.
Die Welt existiert (auch als Gesamtheit von allem), da sie im Sinnfeld aller Gehirne auftritt, die über sie nachdenken.
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Wir sehen: Nur Gabriels völlig undurchdachte Modellierung unserer Welt führt auf die merkwürdige Aussage, dass sie nicht existieren könne. Kein Wunder, wenn er sein allzu primitives Weltmodell dann sogar noch selbst nicht wirklich versteht (da er nicht zu wissen scheint, dass eine Menge auch Untermengen enthalten kann und sogar sie selbst eine solche ist).
Warum Gabriels Lehrer und Kollegen eine derart misslungene, absolut wertlose Überlegung als Forschungsergebnis anerkannt, ihm widerspruchslos abgekauft und zudem noch sofort durch einen Lehrstuhl für ausgerechnet Erkenntnistheorie belohnt haben, kann ich persönlich nicht verstehen.
Hat man sich dadurch nicht unsterblich blamiert?
Da im deutschsprachigen Raum nur der Österreicher Peter Strasser gewagt hat, Gabriels Argumentation (großspurig “Sinnfeld-Ontologie” genannt) als nicht ernst zu nehmend einzuordnen, könnte man fast glauben, dass deutsche Professoren für Philosophie fehlende Qualität gar nicht mehr als solche erkennen – oder liegt es einfach daran, dass sie nicht wagen, schlecht zu nennen, was keinerlei Qualität hat? Sehen sie pseudologisches Geschwätz schon als normal an? Oder fürchtet man Gabriels Einfluss?
Wie also ist es bestellt um Kompetenz und Qualitätsbewusstsein der deutschen Hochschullehrer für Philosophie?
Peter Strasser jedenfalls hat Mist sofort als solchen erkannt! |
Man lese auch: Die Philosophin Ruby über Markus Gabriel, Wahrheit und (postmodernen) Konservatismus.
Vorsicht aber:
Dass Gabriel sich in Existenzphilosophie (noch?) als, wie ich meine, dramatisch inkompetent erweist, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, welch hohen Wert er als Philosoph der Gegenwart hat. Das wahre Wesen von KI etwa kommentiert Gabriel weit zutreffender als selbst Jürgen Schmidhuber (einer der heute führenden KI-Experten).
Auch über die wichtige Rolle von Wahrheit im politischen Umfeld informiert Gabriel uns zutreffend und mahnt sie an in kompromisslos engagierter Weise.
Comments
Letztlich besteht Gabriels Irrtum darin, dass ihm nicht klar wird:
Ein Sinnfeld ist nichts anderes, als das, was ein Gehirn sich gerade bewusst macht. Nun ist aber die Menge dieser Gedanken ebenso in ständiger Veränderung begriffen wie die der Menge der Wellen im Ozean. Die Tatsache, dass sich die Meeresoberfläche ihrer Wellen nach nicht auflisten lässt, verhindert nicht, dass sie existiert.
Mit der Welt, dem Sinnfeld aller Sinnfelder, ist das ebenso.
Warum sich das der Inhaber eines Lehrstuhls für Erkenntnistheorie nicht klar zu machen versteht, bleibt sein Geheimnis.
Sinn und Existenz (ja sogar Gabriels Sinnfelder) lassen sich am besten so verstehen:
Unter Dingen versteht man alles, über das man nachdenken kann.
Jedes Sinnfeld ist die Gedankenwelt S(M) eines denkenden Wesens M.
Ein Ding D existiert in der Realität von M, wenn D Instanz eines dem M präsenten widerspruchsfreien Konzepts K ist.
Man nennt K dann “eine der Rollen, in der D in der Realität von M existiert“.
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Wir sehen: Existenz ist stets rollengebundene Existenz.
Hat Gabriel das schon verstanden? Informatiker — aber z.B. auch Physiker wie etwa Carlo Rovelli — wissen es.
Ferner: Realität (als die Welt, in der man lebt), sollte nicht mit Wirklichkeit verwechselt werden oder mit der Realität anderer. Letztere stimmt mit unserer eigenen stets nur grob überein.
Realität ist stets ein durch denkende Wesen interpretierter Teil der Wirklichkeit, d.h. eine Menge nur gedanklich existierender Welten R(M), welche man nicht mit Wirklichkeit verwechseln darf.
Sofern eine Person X über die Meinung des Lebewesens M nachdenkt, entsteht als Teil von R(X) eine Instanz des Konzepts “Durch X vermutete Meinung von M”.
Gabriels Philosophie verliert schnell an Wert, wo er denkt, beweisen zu können, was nicht mehr beweisbar ist.
Ab da wird sie zu » Kindergartenphilosophie « und ist dann nicht mehr ernst zu nehmen.
Details in Gebhard Greiter (2020): Wissenschaft, Bullshit oder Philosophie? — Markus Gabriels Gratwanderung
An alle, die es interessieren könnte:
Gebhard Greiters Existenzphilosophie: Welt und Wirklichkeit sind ein und dasselbe.
Wir sehen: Philosophisch zu argumentieren macht nur Sinn, wo Naturwissenschaft versagt.
Im Brustton der Überzeugung völlig unlogisch zu argumentieren – wie Gabriel es z.B. im Vortrag hier zwischen Minute 18:37 und 19:20 tut – macht natürlich noch viel weniger Sinn. Man höre sich die Stelle selbst mal an. Nach meinem Verständnis jedenfalls – und wahrscheinlich dem aller Informatiker – ist, was er dort sagt, einfach nur völlig inhaltsleeres, pseudologisches Geschwätz.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er behauptet, schon Philosophen vor ihm hätten so gedacht,
Gabriels schier grenzenlos große Überschätzung seiner eigenen Kompetenz ist nicht nur lächerlich, sondern nahezu unerträglich. Behauptet er doch einfach: » Falsch: Alle Philosophien der letzten 2500 Jahre! «.
In meinen Augen – und gegeben seine an vielen Stellen schon vom rein Handwerklichen her so lächerlich naive Argumentation – macht er sich dadurch unmöglich. Er tut mir leid.
Schlimmer noch: Was soll man von der Kompentenz seiner deutschen Kollegen und akademischen Lehrer denken, wenn sie ihm so gar nicht widersprechen oder zu widersprechen wagen?
Auf den Punkt gebracht:
Wie Markus Gabriel zu begründen versucht, dass es die Welt als Ganzes gar nicht geben könne, erscheint mir als Beleidigung für jeden, der — in streng wissenschaftlichem Sinne — logisch denken kann.
Dass Gabriel noch nicht mal klar zu sein scheint, dass Existenz stets nur Existenz in einer bestimmten wohldefinierten Rolle bedeuten kann, macht ihn als Verwalter eines Lehrstuhls für Erkenntnistheorie zu einer ziemlich krassen, blamablen Fehlbesetzung.
Sich erfolgreich zu vermarkten scheint Gabriel wichtiger als gründliches Nachdenken wissenschaftlich anerkannter Qualität.
Fur Markus Gabriel markiert der Neue Realismus einen Wendepunkt im philosophischen Denken, das sich im 20. Jahrhundert zunehmend zu zwei Blocken verhartet hatte: der analytischen Philosophie mit ihrer Fixierung auf Logik und Sprachanalyse einerseits und der kontinentalen Philosophie andererseits, unter der man praktisch samtliche nicht angelsachsischen europaischen Stromungen der Philosophie zusammenfasste, wobei oft vor allem Postmoderne, Dekonstruktion und Poststrukturalismus gemeint waren. Diese zwei einst unversohnlichen Traditionen haben sich laut Gabriel als Unterscheidung heute erledigt.
@Марина:
Ich kann jetzt ehrlich gesagt nicht einsehen, warum Gabriels Ansicht, dass es nicht mehr lohne, zwischen den genannten philosophischen Richtungen zu unterscheiden, ihm das Recht geben sollte, kaum definierte neue Begriffe in die Welt zu setzen mit dem Anspruch, man würde mit ihrer Hilfe die Aussagen “alle[r] Philosophien der letzten 2500 Jahre” als falsch erkennen.
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