Category Archives: Pädagogik

Mit weniger Aufwand erfolgreicher lernen


Während meiner Schulzeit fiel mir immer wieder auf, dass ich in Prüfungen besonders dann erfolgreich war, wenn ich mir

  • am Abend vor dem Prüfungstag nochmals ganz intensiv alles Wichtige angesehen hatte
  • am Prüfungstag selbst aber NICHT mehr versucht hatte, mir das Gelernte nochmals ins Gedächtnis zu rufen (oder gar nochmals irgendwelche Unter­lagen zu konsultieren).

Psychologen aus Sidney berichten jetzt Ähnliches. Sie beobachteten:

Lernen OHNE Pause ist WENIG effektiv.

Ursache hierfür ist offenbar, dass unser Gehirn erst während hinreichend langer Pausen den Inhalt unseres Kurzzeitgedächtnisses ins Langzeitgedächtnis trans­feriert (und dort sozusagen einbrennt):

31 Studenten aufgeteilt in 3 Gruppen hatten 2 Lerneinheiten zu bewältigen:

  • Gruppe 1 ohne Pause,
  • Gruppe 2 mit einer einstündigen Pause,
  • Gruppe 3 absolvierte nur eine Lerneinheit.

Am Tag darauf gab die Gruppe ohne Pause viel weniger richtige Antworten als Studenten aus Gruppe 2 oder 3.

Dieser Unterschied war nicht auf Ermüdung zurückzuführen (die Re­aktions­zeit der Studenten hatte sich während des Versuches nicht verschlech­tert).

Quelle: SZ vom 16.8.2012

 

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Kontroverses zu Brainstorming


Brainstorming gilt als eine gute Methode, ein Team schnell auf neue Ideen zu brin­gen und ihm so neuen Schwung zu verleihen.

Sozialpsychologen, z.B. Wolfgang Stroebe von der Universität Utrecht, sehen das anders. Sie weisen darauf hin, dass mehrfach durchgeführte Studien nicht in der Lage waren, die Nützlichkeit von Brainstorming zu bestätigen. Hier zwei Beispiele dazu (siehe SZ vom 8.3.2012):

  • Schon 1958 ließen Psychologen der Universität Yale 48 Probanten in Vierer­gruppen verschiedene Aufgaben nach den Regeln des Brainstormings lösen. Die Kontrollgruppe bestand aus ebenso vielen Teilnehmern – nur mit dem Unterschied, dass sich dort alle 48 Personen jeweils alleine (ohne Kommuni­kation mit anderen) der Lösung der gestellten Aufgaben zu widmen hatten.

    Das Ergebnis: Die Einzelkämpfer präsentierten etwa doppelt so viele Ideen wie die Brainstormer. Eine unabhängige Jury bewertete diese Ideen im Schnitt zudem noch als praktikabler und besser.

  • Auch als der britische Sozialpsychologe Brian Mullen 1991 zusammen mit Kollegen 20 Studien über Brainstorming auswertete, ergab sich ganz klar: Gruppen, in denen die Probanten jeweils für sich arbeiten mussten, produ­zier­ten durchwegs mehr Ideen und gute Einfälle als Gruppen, die das über gemeinsames Brainstorming versuchten.

    Zudem ließ sich feststellen, dass der Verlust an Qualität und Quantität umso größer war, je mehr Mitglieder die Brainstorming-Gruppen hatten.

Da zahlreiche später durchgeführte Studien dieses Ergebnis bestätigten, versuchte man eine Begründung dafür zu finden. Die ursprüngliche Vermutung der Forscher, ein zu großer Teil allzu passiver Teilnehmer könnte der Grund sein, hat sich nicht bestätigt. Man denkt nun eher, dass die Gruppenmitglieder sich gegenseitig blockie­ren wegen der Regel, dass zu jedem Zeitpunkt stets nur eine Person sprechen darf (und die anderen zwar gut zuhören sollten, dies aber zu wenig tun, da sie zu sehr damit beschäftigt seien, ihre eigene Idee nicht zu vergessen bzw. sie in Worte zu fassen: Es wird ja schließlich von jedem, der nicht schon dran war, erwartet, dass er in Kürze selbst etwas Sinnvolles beisteuert).

Als jemand, der selbst mehrfach an Brainstorming Sessions teilgenommen hat,

  • kann ich diese Begründung sehr gut nachvollziehen.
  • Dennoch bin ich der Meinung, bei solcher Gelegenheit stets durch Ideen anderer im eigenen Denken befruchtet worden zu sein.

Aus meiner Erfahrung heraus hat Brainstorming nur deswegen selten nachhaltige Wirkung, weil die Initiatoren solcher Sitzungen darin entstandene Vorschläge und Einsichten bestenfalls noch protokollieren, dann aber sofort zu vergessen scheinen: Man beglückwünscht sich noch zum erfolgreichen Meeting oder Seminar, aber das war’s dann auch schon.

Anders gesagt: Es wird gesät, aber nicht mehr geerntet. Keimende Ideen – und nur solche kann eine Brainstorming Session liefern – können nicht überleben, wo man dann nicht auch wenigstens eine gezielt umsetzt oder wenigstens gezielt weiter erprobt. Leider habe ich nie erlebt, dass das wirklich passiert ist.

Hat jemand ähnliche bzw. völlig andere Erfahrungen dazu?

 

Erschweren Ganztagsschulen erfolgreichen Schulabschluss?


Viele Bildungspolitiker fordern mehr Ganztagsschulen – was sie dabei zu übersehen scheinen, ist eine interessante Korrelation zwischen dem Angebot an Ganztags­schulen einerseits und der Zahl nicht erfolgreicher Schüler andererseits:

In Süddeutschland (Bayern und Baden-Württemberg im Durchschnitt gesehen) besuchen nur 17% aller Schüler eine Ganztagseinrichtung, weniger als 6% aller Schüler schaffen keinerlei Schulabschluss.

In Sachsen, Thüringen, Hamburg, Berlin und Brandenburg aber sind mindestens 42% aller Schüler Ganztagsschüler (in Sachsen sogar gut 72%). Es verlassen dort aber zwischen 9.4% (Thüringen) und 14.1% (Sachsen) aller Schüler die Schule ohne jeden Abschluss.

Sachsen-Anhalt mal ausgenommen (wo bei etwa 20% Ganztagsschülern 12.3% aller Schüler ohne Abschluss blei­ben) gilt über alle Bundesländer hinweg in erster Näherung:

Je mehr Schüler eine Ganztagseinrichtung besuchen, desto weniger schaffen einen Schulabschluss.

Sollte uns das nicht zu denken geben?

Die genannten Zahlen sind Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes für 2009, welche sich abgedruckt finden auf Seite 5 der Süddeutschen Zeitung vom 12.3.2012.

 

Eine Frage an alle Deutschlehrer an Gymnasien


Zunächst drei Beobachtungen:

  • Meine Karriere als Software-Entwickler begann damit, dass ich (in Zusammen­arbeit mit einem damals ebenfalls noch wenig erfahrenen Kollegen) Problem­analyse und Sollkonzept für die Migration einer umfangreichen Software-Anwendung auf neue Technologie zu schreiben hatte.

    Nachdem wir beide nicht recht vorankamen, beschlossen wir, jede Woche unter uns das Thema zu tauschen und nicht böse zu sein, wenn dann der jeweils andere unseren Text – und sei es nur seiner Formulierung nach – mehr oder weniger gravierend abändern würde.

    Von diesem Zeitpunkt an, machte unsere Arbeit schnelle Fortschritte.

  • Ein zweites Schlüsselerlebnis meiner Karriere war die Einsicht, dass es auch für Ingenieure, die ja recht technisch orientiert sind, extrem wichtig ist, klar, flüssig und schnell Aufsätze schreiben zu können, die gut modularisiert sind: eben so, dass jeder Leser schnell den Teil findet, der ihn gerade interessiert.

    Zudem müssen solche Abhandlungen so formuliert sein, dass es für andere Personen einfach wird, das entsprechende Dokument ohne Hilfe seiner ur­sprünglichen Autoren zu aktualisieren und fortzuschreiben – und das auch noch ganz unabhänging von seiner Länge (wir reden hier von Papieren, die typischerweise zwischen 10 und 200 Seiten umfassen).

    Gleichzeitig wurde mir bewusst, wie wenige meiner Kollegen wirklich gelernt hatten, Texte so zu gestalten oder wenigstens Freude daran zu haben, über­haupt anderes als nur Code zu schreiben: Viele Programmierer – und leider auch solche mit Hochschulabschluss (!) – wirken in dieser Hinsicht fast wie Behinderte.

  • Seit etwa zwei Jahren publiziere ich im Internet. Hierbei – so wird mir mehr und mehr bewusst – ist es noch viel wichtiger, gelernt zu haben, jeden Aufsatz in kleine, einzeln für sich lesbare Teile zu zerlegen: in Seiten, die möglichst kurz, aber dennoch aussagekräftig und lesenswert sind.

    Zu unserem Glück hilft hierbei etwas, das es im klassischen Aufsatz nicht gibt: die Möglichkeit nämlich, Details der diskutieren Inhalte über Hyperlinks einzu­binden.

So zu schreiben, wie diese drei Beobachtungen als erstrebenswert — ja sogar als heute notwendig — nahelegen, lernt man sicher nicht über Deutschunterricht, wie ich ihn vor nunmehr gut 40 Jahren erlebt habe.

Deshalb meine Frage an alle Pädagogen: Wie tragen Deutschlehrer dieser neu entstandenen Anforderung heute Rechnung? Tun sie es überhaupt? Wenn ja, mit welcher Gewichtung?

Sollte man nicht wenigstens alle Schüler in der Oberstufe zwingend einen Kurs durch­laufen lassen, der ihnen die oben diskutierten Erkenntnisse präsent macht und ihnen hilft, sie einzuüben?

Und wäre es nicht zudem gut, wenn heute bei der Benotung von Facharbeiten mit berücksichtigt würde, in welchem Ausmaß es dem Schüler gelang, sein Werk hin­reichend ansprechend und leserfreundlich im schuleigenen Webauftritt zu präsen­tieren? Solche Publikation – komplett oder auszugsweise – sollte in meinen Augen zur Pflicht werden.

Für Rückmeldungen zu diesen Gedanken – seitens der Lehrer, aber auch seitens interessierter Schüler – wäre ich dankbar.