Hat Markus Gabriels Erkenntnistheorie wissenschaftlichen Wert?


Markus Gabriel – Philosoph und Inhaber eines Lehrstuhls für Erkenntnistheorie – ist eine recht spannende Persönlichkeit:

Er schafft es – und sieht es als eines seiner erklärten Ziele -, Philosophie unters Volk zu bringen.

Das ist zu begrüßen, hat aber seinen Preis:

Gabriels Startpunkt als Professor für Philosophie war seine – gewollt oder ungewollt – überaus werbewirksame These:

    • “Alles existiert, nur die Welt als Ganzes existiert nicht”

Wer nun aber versucht, Gabriels Argumentation hin zu diesem Denkergebnis zu verstehen, wird bitter enttäuscht, da sich schnell zeigt, dass sie ganz gravierende handwerkliche Mängel aufweist:

Sie basiert auf dem Begriff » Sinnfeld «, für den Gabriel aber versäumt, eine Definition zu geben.

Er geht aus von der Annahme, die Welt sei das Sinnfeld aller Sinnfelder.

Da er sehr belesen ist, und so natürlich auch Bertrand Russels Schriften kennt, ist ihm aufgefallen, dass Russel zeigen konnte, dass der Begriff » die Menge aller Mengen « nicht wohldefiniert ist, genauer: dass es die Menge aller Mengen nicht geben kann.

Wohl nur in Analogie dazu behauptet Gabriel, die Welt (als Sinnfeld aller Sinn­felder), könne nicht existieren.

Er übersieht dabei, dass Cantor Mengenlehre vom Axiom ausgeht » Keine Menge ist Element ihrer selbst «. Erst dieses Axiom hat zur Folge, dass die Menge aller Mengen nicht existieren kann.

Gilt Analoges, wie Gabriel ohne Begründung annimmt, aber auch für Sinnfelder?

Dies zu entscheiden, müsste der Begriff des Sinnfeldes erst mal genau definiert sein. Gabriel versäumt, in genau zu definieren. Welchen Wert kann dann aber seine Schlussfolgerung haben, dass die Welt – als Sinnfeld aller Sinnfelder – nicht existiere?

Wem diese Argumentation als allzu theoretisch erscheint, bedenke Folgendes:

Gabriel verkündet:

    “I point out that the world does not and cannot exist!

    It is a bit like the biggest natural number: once you know what a natural number is, you know there is no such thing as the biggest natural number — once you know what existence is and what the world is, you know that the world does not and cannot exist.

Er übersieht dabei, dass, in seinem Gleichnis, die Welt nicht einer natürlichen Zahl entspricht, die größer wäre als alle anderen, sondern dass sie der Menge aller natürlichen Zahlen entspricht. Sie aber ergibt sich (und existiert) als Vereinigung all ihrer endlichen Teilmengen.

Mit der Welt ist es ebenso: Selbst wenn man davon ausgeht, dass kein einziges Sinnfeld die ganze Welt umfasst, existiert die Welt eben doch als Vereinigung aller jemals gedachten Sinnfelder.

Gabriels Fehler also:

Er vergleicht die Welt mit etwas, das nicht existiert (eine größte natürliche Zahl) und glaubt dann, dies sei ein Beweis dafür, dass die Welt nicht existieren könne.

Kann man derart schlampige Argumentation dem Inhaber eines Lehrstuhls für Erkenntnistheorie durchgehen lassen?

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Comments

  • Adam-Schmitz-2  On September 6, 2019 at 7:02 pm

     
    Hat sich M. Gabriel am Wettbewerb zu Bielefeld beteiligt? Es wäre zumindest ein preiswürdiger Ansatz um analog die Nichtexistenz von Bielefeld zu beweisen – wo es doch die Welt schon nicht gibt.
     

  • Gebhard Greiter ( http://greiterweb.de/spw/ )  On September 7, 2019 at 2:37 pm

     
    Nach Gabriel existiert rein alles (einzige Ausnahme: die Welt als Ganzes).
    Würde er das seine philosophische Überzeugung nennen, wäre das sein gutes Recht, und man könnte nichts dagegen einwenden als: “Andere sind anderer Meinung.”

    Nun ist Gabriel aber Inhaber eines Lehrstuhls für Erkenntnistheorie mit dem Anspruch, diese seine Meinung sogar bewiesen zu haben. Wäre sein Beweis nicht angreifbar, müsste man aus seinem Denkergebnis einfach nur schließen, dass er einen anderen Existenzbegriff zugrundelegt als wir, die wir die Welt als existent sehen.

    Da sein vermeintlicher Beweis nun aber keineswegs überzeugt — ja noch nicht einmal von wohldefinierten Begriffen ausgeht — muss man ihm vorwerfen, dass seine Argumentation in keiner Weise wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Das sehe ich als den eigentlichen Skandal.

    Noch mehr entsetzt mich die große Zahl seiner Fachkollegen, die ihn ernst zu nehmen scheinen. Was sagt uns das über den gegenwärtigen Zustand wissenschaftlicher Erkenntnistheorie? Ist sie noch ernst zu nehmen?
     

  • Gebhard Greiter ( http://greiterweb.de/spw/ )  On September 8, 2019 at 9:14 am

     
    Eine Zusammenfassung von Gabriels sog. Neuen Realismus findet sich — in seinen eigenen Worten — auf Seite Fünf Jahre Neuer Realismus.

    Seinen Begriff der Sinnfelder erklärt er dort so:

    “Es gibt soziale, mathematische, moralische, physikalische, juristische, historische Tatsachen usw. Entsprechend gibt es eine Vielzahl an Wissensformen und Wissenschaften, die jeweils ihre eigenen Tatsachenbereiche erforschen (nicht konstruieren!), die ich als » Sinnfelder « bezeichne.”

    |
    Da jeder Tatsachenbereich doch ganz offensichtlich nur Teilmenge aller Tatsachen ist, bleibt es Gabriel Geheimnis, warum er so darauf besteht, festzustellen, dass die Welt als Ganzes, z.B. als Menge aller Tatsachen, nicht existiere.

    Man bekommt wirklich den Verdacht, dass er sich mit solcher Aussage einfach nur werbewirksam in Szene setzen möchte: Er will, dass man über ihn spricht.

     

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