Markus Gabriel, seit 2009 Inhaber eines Lehrstuhls für Erkenntnistheorie an der Universität Bonn, beschreibt sein bisher wohl bemerkenswertetes “Forschungsergebnis” in eigenen Worten wie folgt:
“Die Welt kann nicht existieren, weil sie nicht in der Welt vorkommt. Aber mit Ausnahme der Welt gibt es alles — auch Polizeiunform tragende Einhörner auf der Rückseite des Mondes”.
In seiner Antrittsvorlesung [AV] begündete er diesen seinen Standpunkt mit der — wie wir gleich zeigen werden keineswegs schlüssigen — Argumentation, dass die Welt, da sie nicht auflistbar ist, nicht existent sein könne.
In seinem Buch » Warum es die Welt nicht gibt « , Ullstein 2013, argumentiert er auf Seite 96-126 deutlich anders, aber keineswegs überzeugender: Die Welt, so schreibt Gabriel dort, könne nicht existieren, da sie ja in einem Sinnfeld auftrete, somit als Teil ihrer selbst auftrete, was ein Widerspruch zur Annahme sei, sie existiere.
Sein Denkfehler: Er übersieht, dass nichts, was in einem Sinnfeld auftritt, dort dann notwendigerweise auch schon in vollem Umfang auftritt.
Es lohnt sich also, Markus Gabriels Neuem Realismus als Gegenposition folgende Argumentation entgegenzustellen, die man dann als Beginn des Zeitalters des Logischen Realismus sehen kann:
Logischer Realismus geht von folgender Grundposition aus:
-
Ein Ding D existiert — wenigstens als Sinnfeld —, sobald ihm jemand Sinn S zugeordnet hat mit dem Effekt, dass (D,S) sich dann als widerspruchsfreies Sinnfeld darstellt.
Sinnvoll sprechen lässt sich nur über Dinge, denen der Sprecher schon Sinn zugeordnet hat.
Existenz kann ihnen nur zukommen, wenn jener Sinn sie widerspruchsfrei interpretiert.
Daher sei definiert:
Die Welt eines Denkers besteht aus allen ihm bewusst gewordenen, widerspruchsfreien Sinnfeldern (D,S).
Unter der Welt generell verstehen wir die Vereinigung der Welten aller Denker, die je geboren wurden. Sie ist eine ständig wachsende Klasse (oder gar Menge?) widerspruchsfreier Sinnfelder.
Konsequenz daraus:
Die Welt, als Sinn machendes Konzept, wird erschaffen und wächst durch unser bewusstes Denken.
Sie existiert, soweit die darin enthaltenen Sinnfelder (= widerspruchsfreien Konzepte) Instanzen haben.
Ein sinnbehaftetes Ding ( D2, S2 ) gilt als Instanz eines Konzepts ( D1, S1 ), wenn die Aussage » ( D2, S2 ) ist ein ( D1, S1 ) « Tatsache ist.
Würde die Welt nicht existieren, gäbe es — nach dieser Definition — kein einziges Konzept mit Instanzen. Das aber ist falsch, da es jede Menge mathematischer Konzepte gibt, die ganz klar Instanzen haben (das Konzept » natürliche Zahl « ist das wohl wichtigste Beispiel hierfür).
Wir sehen also: Die Welt existiert. Genauer noch: Sie existiert als eine durch die Relation » ist ein « geordnete Menge widerspruchsfreier Sinnfelder.
Nebenbei noch:
Markus Gabriel, letzlich aber auch der Logische Realismus, kennt die Welt als die Gesamtheit aller Dinge, Tatsachen und Sinnfelder.
Beide, der Neue Realismus wie auch der Logische Realismus, verstehen unter einem Ding neben allem, was materieller Art ist, natürlich auch Gedanken, Aussagen etwa, oder z.B. physikalische Kräfte, eben alles, was sich uns über unsere Sinne mitteilen oder in unserem Gehirn erzeugt werden kann.
Damit grenzen beide sich ganz entschieden ab vom Materialismus, über den Markus Gabriel schreibt (S. 43-45 in seinem Buch):
- “Der Materialist meint, dass es unsere Einbildungen von nicht-materiellen Gegenständen nur gibt, weil wir uns in bestimmten materiellen Zuständen befinden.
Seine Behauptung, dass der Gedanke » Es gibt nur materielle Zustände « wahr sei, kann man nicht dadurch verifizieren, dass man sich alle Gegenstände (und damit auch alle Gedanken) ansieht und überprüft, ob sie materiell sind.
Doch woher weiß der Materialist dann, dass alle Gegenstände materielle Zustände sind? Wenn er uns dies nicht mitteilen kann, haben wir keinen Grund, uns dem Materialismus anzuschließen.
Der Materialismus ist somt keine naturwissenschaftlich beweisbare Aussage. Aber nicht nur das, er ist auch schlicht falsch.”
Letzters — nämlich falsch zu sein (da er der Welt falsche Struktur unterstellt) — werfe ich, Gebhard Greiter, auch dem Neuen Realismus vor.
Es sei nun jeder ernsthaft an Philosophie Interessierte aufgerufen, zu überprüfen, in welchem Umfang er meine oben skizzierte » Logische Sinnfeld-Ontologie « als schlüssig anerkennen kann.
Comments
Erstaunlicherweise erkennt auch der Logische Realismus Polizei-Uniform tragende Nashörner als existent an: Aber halt nur als ein Konzept, welches keine Instanzen hat.
Ob Markus Gabriel dieses Beispiel wirklich ernst nahm, weiß wohl nur er selbst. Sein Neuer Realismus aber unterscheidet gar nicht unterschiedliche Rollen, in denen etwas existent bzw. nicht existent sein kann. Allein schon deswegen muss Realer Realismus als untauglich eingestuft werden.
Denn: Wo immer wir von der Existenz eines Gegenstandes sprechen, meinen wir damit (unausgesprochen) seine Existenz in einem ganz bestimmten Sinne.
Im Video hier vertritt Markus Gabriel die Meinung, seine Existenztheorie sei die erste, die auskomme nicht nur ohne Übergeneralisierung, sondern auch ohne Reduktion von Wahrheiten aus unserem Weltbild.
Die Tatsache aber, dass er von Existenz generell spricht, statt von nur rollenbezogener Existenz, stellt doch gerade eine solche Reduktion von Wahrheit dar. Logischer Realismus verzichtet auf eben diese Reduktion und scheint demnach das zu sein, was Gabriel eigentlich anstrebt.
Note: Wem nicht offensichtlich erscheint, dass die Welt in jedem Sinnfeld nur teilweise – bzw. nur deutlich abstrahiert – auftreten kann, der führe sich vor Augen, dass jedes Sinnfeld ja nur als Gedanke existiert, Gedanken aber an ein sie denkendes Gehirn gebunden sind. Wer aber möchte glauben, dass es ein Gehirn geben könnte, welches sich die Welt aufgelistet in all ihre Teile vorstellen kann?
Es ist ja ein vertrackter Zusammenhang zwischen Logik, Sprache und Welt, wobei die Vertracktheit dadurch entsteht, dass wir die Funktionen nicht sorgfältig trennen.
(1) Welt: Sie ist schlicht so, wie sie ist, das Ding an sich, egal, was wir über sie denken oder über sie kommunizieren.
(2) Sprache: Begriffe beziehen sich nicht nur auf Dinge, wir positionieren uns damit gegenüber den Dingen und als Sprecher gegenüber den Hörern. In der Sprache ist die Welt das, wovon die Rede ist.
(3) Logik: Mit ihr versuchen wir in unserem Denken (auch von der Welt) Ordnung zu produzieren. Die Welt folgt mitnichten logischen Gesetzen, wir sind es, die mit Hilfe der Logik die Welt besser verstehen wollen.
Nur weil wir uns zufriedenstellend über die Welt verständigen und das auch noch begründen können, heißt es nicht, dass die Welt auch so ist. Wir denken sie uns so. Dass dem so ist, offenbart sich erst dann, wenn sie sich nicht so verhält, wie wir sie uns denken.
Beispiel: Als Bauingenieur hatte ich Baumängel zu untersuchen und es war erstaunlich oft so, dass die “Intelligenz” des Materials (etwa der Anstrich) die Konstruktion zusammenhielt – baustatisch ließ sich das nicht erklären, geschweige denn berechnen.
Ja, dem stimme ich voll zu.
Aber natürlich bin ich dennoch der Meinung, dass Logik, dort wo sie anwendbar ist, auch wirklich zur Anwendung kommen sollte (ansonsten spricht man ja nur über Meinungen).
Philosophie hat das Recht, auch mal nur über Meinungen zu sprechen. Einem Wissenschaftler aber sollte das nur gestattet sein, wo anerkannte logische Regeln anzuwenden, zu nichts führen kann.
Die Beobachtung, die Sie als Bauingenieur gemacht haben, wird in der Mehrzahl aller Fälle wohl dadurch erklärbar sein, dass es Einflüsse gibt, die entweder
bisher noch unbekannter Gesetzmäßigkeit geschuldet sind oder derart gering zum Geschehen beitragen, dass sie nur aus chaostheoretischen Gründen heraus hier oder dort auch mal makroskopisch beobachtbare Folgen haben.
Danke für die Antwort. Ich möchte auch nicht den Sinn und Nutzen der Logik in Zweifel ziehen – Wenn es um Vernunft und Vernunftgründe geht, dann haben wir ja schlicht nichts anderes. Es sind zwei Gründe, die mich gegenüber vernünftig vorgebrachten Argumenten vorsichtig sein lassen:
In der Verhaltensbiologie wurde nachgewiesen, dass auch Tiere in der Lage sind, etwa Kausalschlüsse zu ziehen (N. Sachser 2018). Wenn Schlussweisen biologisch geprägt sind, dann gründet ihre Gültigkeit in der Wahrscheinlichkeit des Erfolges, nicht aber in der Notwendigkeit ihrer Wahrheit. Wenn ich also einen Kausalzusammenhang wissenschaftlich behaupte, dann muss ich die aus der statistischen Methodik bekannten Prüfverfahren einsetzen, um zu prüfen, ob dem überhaupt so ist.
Mircea Eliade hat schamanistische Heilungsrituale untersucht und beschrieben. Aus der Perspektive der jeweiligen Gesellschaften werden die Begründungen für diese Handlungen durchaus vernunftgemäß vorgetragen. Trotzdem würde ich mein Kind eher einem approbierten Mediziner als einem Medizinmann anvertrauen. Warum vertraut die indigene Familie aber eher ihrem Medizinmann? Ich vermute, das hängt mit den unterschiedlichen “möglichen Welten” zusammen, in denen man lebt. Vernunft bietet mir in der mir “möglichen Welt” den benötigten Halt, das muss aber nicht in anderen “möglichen Welten” überzeugen.
Es liegt daran, dass jedes Sinnfeld begrenzt ist durch Erkenntnishorizonte:
Obgleich Logischer Realismus – um nicht hinter physikalischer Erkenntnis hinterherhinken zu müssen – anerkennt, dass die Welt existiert, verkennt er nicht, dass kein einziges menschliches Gehirn sie sich in all ihren Details vorstellen kann (sie also in keinem einzigen Sinnfeld komplett auftreten wird).
Dass dem so ist, macht Einsteins Relativitätstheorie uns klar, da sie zeigt, dass jede Sicht der Menschen auf die Welt notwendigerweise durch Horizonte begrenzt ist: Jede unserer Sichten auf die Welt ist – mehr oder weniger nachdrücklich – begrenzt durch einen Ereignishorizont, einen Beobachtungshorizont und durch Erkenntnishorizonte unterschiedlichster Art.
Umso erstaunlicher ist, dass Menschen sich einen Gott vorstellen können, der allein um wirklich die gesamte Welt in all ihren Details weiß.
Recht bemerkenswert scheint mir zu sein, dass die Logik von Philosophen (wie die anderer Menschen auch) keineswegs immer das ist, was Logiker unter Logik verstehen: Logik, so könnte man sagen, ist
entweder kreativ = subjektiv und bestechlich: r e a l e Logik
oder formal = objektiv und unbestechlich: w i r k l i c h e Logik.
Kurt Gödel konnte (1931) beweisen, dass wirklicher (= formaler) Logik recht enge Grenzen gesetzt sind.
Roger Penrose hat das anhand eines recht einfachen Beispiels demonstriert, welches in meinen Augen vermuten lässt, dass echte Logik wohl gar nicht kreativ sein kann.
Logischer Realismus will Ernst damit machen,
wirklich logisch zu denken
und hierbei auch die Ergebnisse sämtlicher Naturwissenschaften, insbesondere der Physik, nicht zu übersehen.
Die Aussage, die Welt bestehe aus Dingen, Sinnfeldern und Tatsachen wird durch ihn präzisiert zur Aussage, die Welt bestehe
— aus sich ständig neue Form gebender Energie,
— aus Geist, der diesen Formen Sinn zuordnet
— und aus im Lichte solchen Sinns gegebener Tatsachen.
Logischer Realismus nimmt hiermit zur Kenntnis, dass der Welt Dynamik innewohnt und die Evolution vielleicht doch irgendwie zielgerichtet sein könnte.
Wie Robert Ziegelmann in seinem Papier Weder neu noch neutral: Markus Gabriels Realismus in der akademischen Diskussion berichtet, hat Markus Gabriel im Zuge der akademischen Diskussion seinen »neuen Realismus« in »neutralen Realismus« umgetauft. Neutral, so Gabriel, sei er deshalb, da er keine Aussagen darüber mache, was in den Sinnfeldern letztlich vorkommt.
Neutraler Realismus, so scheint Gabriel nun präzisiert zu haben, geht aus von der Position:
Die Dinge und Tatsachen, einschließlich der fiktionalen, existieren wirklich und wir können sie so erkennen, wie sie sind – nur »die Welt« als einen Behälter, in dem sich alles befindet, gibt es eben nicht. Die verschiedenen »Sinnfelder«, in denen die Dinge erscheinen, lassen sich nicht zu einem alles umfassenden Ganzen zusammenfügen.
Es kommt mir nun der Verdacht, dass Gabriel unter je einem Sinnfeld wohl nur etwas versteht, das durch ein einziges Gehirn in vollem Umfang gedacht werden kann.
Hiervon ausgehend könnte ich verstehen, dass Gabriel sagt: Die verschiedenen »Sinnfelder«, in denen die Dinge erscheinen, lassen sich nicht zu einem alles umfassenden Ganzen zusammenfügen.
Wenn er das so meint, wäre die Gesamtheit aller Sinnfelder dann aber doch ganz offensichtlich Teilmenge aller Gedanken, d.h. Teilmenge aller Dinge. Warum aber sollte dann die Welt — als Menge aller Dinge und Tatsachen (auch Gedanken betreffend) — nicht existieren?
Warum ist es Gabriel so wichtig, festzustellen, dass die Welt als Ganzes NICHT existiert? Das zu erklären ist er uns auf jeden Fall noch schuldig.
WENN es ihm wichtig ist, sollte er dafür doch besser ein wirklich überzeugendes (von Denkfehlern freies) Argument finden.
Im einem Interview aus 2016 sagt Gabriel:
“I point out that the world does not and cannot exist!
It is a bit like the biggest natural number: once you know what a natural number is, you know there is no such thing as the biggest natural number — once you know what existence is and what the world is, you know that the world does not and cannot exist.”
Er übersieht dabei, dass die Welt nicht einer natürlichen Zahl entspricht, die größer wäre als alle anderen, sondern dass sie der unendlich großen Menge aller natürlichen Zahlen entspricht. Sie aber ergibt sich (und existiert) als Vereinigung all ihrer endlichen Teilmengen.
Mit der Welt ist es ebenso: Selbst wenn man davon ausgeht, dass kein einziges Sinnfeld die ganze Welt umfasst, existiert die Welt eben doch als Vereinigung aller jemals gedachten, nur endlich großen Sinnfelder.
Sein Fehler also:
Gabriel vergleicht die Welt mit etwas, das nicht existiert (eine größte natürliche Zahl) und glaubt, dies sei ein Beweis dafür, dass die Welt nicht existieren könne.
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