Selbst weltweit bekannten Physikern und Buchautoren ist oft nicht wirklich klar, was der “Kollaps” der Wellenfunktion — ein Begriff, den die Kopenhagener Gruppe unter Führung von Niels Bohr geprägt hat — denn nun wirklich bedeutet.
So schreibt z.B. Michio Kaku auf Seite 307 seines Buches Die Physik des Unmöglichen (Rowohlt 2008):
Wir existieren gleichzeitig als Summe aller denkbaren Zustände: nicht schwanger, schwanger, als Kind, als ältere Frau, als junges Mädchen, als Karrierefrau und so weiter.
Aber diese seine Aussage ist natürlich Unsinn. [Denn wäre sie richtig, müsste man ja auch feststellen, dass Schrödingers Katze selbst noch nach dem Öffnen der Box in beiden Zuständen existiere: einmal als tote Katze und zum anderen auch als lebende Katze. Das aber hat auch die Kopenhagener Interpretation niemals so gesehen.]
Dass die unglückliche Wortwahl der Kopenhagener Gruppe — genauer: ihr damals noch allzu lückenhaftes Verständnis dessen, was beim “Kollaps” wirklich vorgeht — den Physikern fast ein ganzes Jahrhundert lang das Verständnis der Quantenmechanik deutlich erschwert hat, zeigt sich nicht nur an Kakus Aussagen, sondern z.B. auch an Einstein, Wheeler, Everett III und an all ihren Zeitgenossen bis hin zu Niels Bohr selbst.
Kaku schreibt auch (Seite 307 unten):
Wenn Einstein Gäste hatte, zeigte er auf den Mond und fragte: » Gibt es den Mond, weil eine Maus in anschaut? «
Und Kaku liefert seine ganz persönliche Antwort auf diese Frage gleich mit, indem er schreibt:
-
In gewisser Hinsicht könnte die Kopenhagener Schule diese Frage mit einem Ja beantworten.
Er bezieht sich damit auf die von Bohr gepredigte Meinung, dass erst der Zusammenstoß eines Quantensystems mit einer Messapparatur — sein Zusammenstoß mit dem “Beobachter” also, wie man früher sagte — den Kollaps hervorruft und so das Quantensystem aus einem nicht wahrnehmbaren Überlagerungszustand, der stets nur eine Menge von Möglichkeiten darstellt, in einen sichtbaren, konkreten Zustand versetzt.
Das Missverständnis, dem viele Physiker dann aufsaßen (und dem Kaku sogar heute noch zum Opfer fällt) besteht darin, sich nicht klar zu machen, dass es sich beim “Kollaps” keineswegs um einen bleibenden Kollaps, sondern vielmehr nur um eine Korrektur der Wellenfunktion handelt:
Die Kollision von Messapparatur und beobachtetem Quantensystem nämlich hat Wirkung, und die besteht darin, dass sich Quanten spontan vereinigen oder zerlegen, d.h. die Natur
- macht e i n e von vielen Möglichkeiten zu Wirklichkeit,
- verwirft alle anderen
- und korrigiert dem entsprechend sofort auch die Wellenfunktion des Universums (bzw. des jeweils betrachteten Objekts).
Kurz: Der sog “Kollaps” der Wellenfunktion bedeutet nicht, dass sie in sich zusammenbricht — er bedeutet nur, dass sie sich korrigiert. Und diese neue Version ihrer selbst unterscheidet sich in ihrer Qualität überhaupt nicht von der alten (!).
Wäre das Niels Bohr, Everett III, seinem Doktorvater Archibald Wheeler und all ihren Zeitgenossen schon klar gewesen, wäre es ganz sicher gar nicht erst zu Everetts Viele-Welten-Theorie gekommen.
Sie alle — Everett wohl ausgenommen — haben zwar irgendwie gespürt, dass seine Theorie nicht richtig sein kann, waren aber nicht in der Lage, sie zu entkräften.
Bohr hat sich deswegen zu Everetts Theorie überhaupt nicht geäußert — trotz des Dränges von Wheeler, der Everett extra nach Kopenhagen geschickt hatte, damit er Bohr seine Theorie präsentiere und Bohrs Argumente gegen sie erfahre. Weehler selbst war zwei Jahrzehnte lang unentschieden, hat sich dann aber doch explizit davon distanziert: Ohne allerdings sagen zu können, warum Everetts Theorie falsch sein müsse.
FAZIT also: Da für das Konzept “Kollaps der Wellenfunktion” ein Name gewählt worden war, der Konkreteres suggeriert hat als tatsächlich bekannt war, ist dieser Begriff nun schon fast 100 Jahre zu einem wirklichen Stolperstein für alle geworden, die bestrebt sind, die Quantenmechanik wirklich zu verstehen.
Ihnen allen sei gesagt: Der “Kollaps” der Wellenfunktion ist einfach nur ihre Anpassung an eine neu entstandene Situation. Und zu solch neu entstehenden Situation kommt es ständig und überall dort, wo Quanten kollidieren, verschmelzen oder neu entstehen.
Und so wissen wir jetzt ganz sicher: Der Mond, der Einstein seine provozierende Frage stellen ließ, extistiert natürlich auch dann, wenn niemand hinsieht — weder ein Mensch, noch eine Maus.
Das warnende Bauchgefühl aber, welches Einstein, Wheeler und Bohr signalisiert hat, dass der “Kollaps” wohl noch nicht so ganz verstanden sei, scheint heute einer ganzen Reihe von Physikern — Kaku etwa — zu fehlen. Und so hat sich denn auch lange Zeit niemand gefragt, ob man Everetts viele Welten — er selbst nannte sie “relative Zustände” — nicht vielleicht gründlich missverstanden hat.
Ich jedenfalls lehne die Viele-Welten-Interpretation, wie schließlich auch Wheeler, als absolut sinnlos ab: Es gibt kein einziges Argument dafür, dass sie richtig sein könnte.
Everett selbst hat, was erst Bryce DeWitt dann “viele Welten” nannte, stets nur als Möglichkeiten für kommende Zustände unserer Welt gesehen (konzipiert durch die Wellenfunktion des Universums). Leider hat ihn damals niemand so verstanden, da er diese Weltentwürfe “relative Zustände” nannte.
Richtig verstanden wurde Everetts (ungekürzte) Arbeit wohl erst durch Max Tegmark. Siehe Kapitel 8 seines Buches Our Mathematical Universe.
Der langen Rede kurzer Sinn: Everetts viele Welten, die sich ausgehend von einem konkreten Zustand des Universums über die Zeit hinweg ergeben können (sozusagen aus ihm herauswachsen), sind lediglich Möglichkeiten, von denen sich aber zu jedem Zeitpunkt immer nur eine tatsächlich ergeben haben wird.
Richtig gesehen hat das Heinz-Dieter Zeh, welcher schrieb: “They do not exist
somewhere in space and time, but somewhere else in what we classically call the configuration space.”
Kurioses am Rande:
Unter den wenigen Physikern, die selbst heute noch an Everetts Viele-Welten als wirklich existierend glauben, gibt es zwei, die geradezu abenteuerliche – und ganz sicher nicht zutreffende – Schlussfolgerungen daraus ziehen. Es sind dies:
(1) David Deutsch: In Kapitel 2 seines Buches The Fabric of Reality (1997) argumentiert er, dass die Interferenz hinterm Doppelspalt auf für uns unsichtbare, aus Paralleluniversen kommende Photonen zurückzuführen sei.
(2) Frank J. Tipler: In seinem Buch Die Physik der Unsterblichkeit schreibt er zunächst (auf S. 210):
- Natürlich ist es durchaus möglich, dass die Viele-Welten-Interpretation falsch ist: Die meisten Physiker sind dieser Ansicht. Doch die überwältigende Mehrheit der Leute, die sich mit Quantenkosmologie beschäftigen, akzeptieren die eine oder andere Version der Viele-Welten-Interpretation, einfach weil die Mathematik einen zwingt, sie zu übernehmen.
Noch unglaublicher kommt es dann auf Seite 220, wo er sagt:
- Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, der Viele-Welten-Interpretaion gegenüber zumindest aufgeschlossen zu sein. Wenn sie richtig ist, können wir beweisen, was sich viele [ religiöse ] Leute als Wahrheit ersehnen:
Indem ich von der Annahme ausgehe, dass menschliche Wesen quantenmechanische Objekte wie alles andere auch sind, kann ich beweisen, dass es jedem einzelnen von uns möglich ist, eines Tages aufzuerstehen und ewig zu leben.
Ferner kann ich, wenn ich die Viel-Welten-Interpretation auf die Ontologie der Quantenkosmologie anwende, beweisen, dass wir wahrscheinlich einen freien Willen haben. In Kapitel VII werde ich argumentieren, dass umgekehrt eine Viele-Welten-Ontologie logische Voraussetzung für freien Willen ist.
Kann angesichts solcher Behauptungen noch irgend jemand davon überzeugt sein, dass nicht auch prominente Wissenschaftler hin und wieder einfach nur Unsinn in die Welt setzen?
Tiplers Ehre zu retten, sei nicht verschwiegen, dass er in seinem Buch auch darauf hinweist, dass physikalische Aussagen stets nur als wahrscheinlich wahr einzustufen sind. Es kann uns nämlich niemand garantieren, dass die physikalischen Modelle, aus denen sie abgeleitet wurden, nicht doch irgendwann verfeinert, oder in Teilen falsifiziert werden.
Comments
Physiker, die den “Kollaps” der Wellenfunktion immer noch allzu wörtlich nehmen, suchen die Lösung ihres Verständnisproblems in der von H.D. Zeh begründeten Dekohärenztheorie.
Es ist dies eine Theorie, die untersucht, wie der Zustand der Wellenfunktion nach dem “Kollaps” von dem vor dem “Kollaps” abhängt.
Wer sich dafür interessiert, beginne zu lesen in http://arxiv.org/pdf/quant-ph/0312059v4.pdf .
Im Rahmen einer 1996 gemeinsam mit Roger Penrose bestrittenen Vortragsreihe für theoretische Physiker hat Steven Hawking explizit bekannt: “Ich glaube an den Gravitationskollaps, aber nicht an den Kollaps der Wellenfunktion”.
Penrose sieht das wohl ebenso, denn er wies darauf hin: “Bohr [..] betonte, dass die Wellenfunktion keine reale Mikrowelt beschreibt, sondern nur Wissen, das nützlich für Vorhersagen ist.”
Quelle: Hawking & Penrose: Raum und Zeit, Rowohlt 1998, Seite 182 und 184.
Der Physiker Josef Hohnerkamp schreibt (Zitat):
“Viel ist ja [über die Kopenhagener Deutung der Quantenphysik] geschrieben worden, von Berufenen, aber noch mehr von Unberufenen. Was hat man nicht alles in den Messprozess hineingelegt, bis hin zu verstiegenen Vorstellungen, das Ergebnis der Messung hinge vom Bewusstseinszustand des Beobachters ab.”
Quelle: J. Hohnerkamp: Was können wir wissen? (Springer 2013), S. 64
Hohnerkamp schreibt auch (auf derselben Seite seines Buches):
“… jede Beobachtung oder Messung eines Quants stellt notwendigerweise einen Kontakt mit einem Gerät aus unserer Welt der mittleren Dimensionen dar und damit eine Änderung des Quantenzustandes, in der Fachsprache bekannt als » Kollaps der Wellenfunktion. «.”
Da es kein einziges Argument gibt, welches für die Gültigkeit von Everetts Viele-Welten-Theory spricht, und da seine Theorie auch nicht falsifizierbar ist (da sie ja die Existenz von Parallelwelten postuliert, von denen sie gleichzeitig sagt, sie seien aus unserer Welt heraus nicht beobachtbar), muss Everetts Theorie nach Karl Poppers Kriterien als unwissenschaftlich gelten.
Wer dennoch so tut, als wäre sie schon bewiesen (wie etwa Micho Kaku), informiert seine Leser falsch.
Hans-Dieter Zeh schrieb (in [Zeh] auf Seite 11):
» Müssen alle “Welten” tatsächlich existieren? Das müssen sie sicher nicht. Nur ihre Konsequenzen sowie Argumente der Ökonomie der Beschreibung können über die Berechtigung der Annahme ihrer Existenz entscheiden. Wenn wir innerhalb der Viele-Welten-Vorstellung die Tatsache akzeptieren, daß wir als lokale Beobachter nach dem Eintreten eines Dekohärenzereignisses (etwa bei der Messung eines mikroskopischen Objektes) subjektiv in einer der dabei voneinander unabhängig gewordenen Komponenten des Quantenuniversums leben, könnten wir ebensogut auch annehmen, daß alle anderen von nun an nicht mehr “existieren” — auch wenn wir im Experiment niemals eine objektive Modifikation der Schrödinger-Gleichung nachweisen können. «
» They do not exist somewhere in space and time, but somewhere else in what we classically call configuration space « erklärt Zeh an anderer Stelle wörtlich.
Kurz: Wenn man sagt, etwas existiere, sollte man immer dazu sagen, in welcher Rolle man es als existent erachtet. Everetts Welten (mit Ausnahme einer) existieren nur als Konzept!
Leider wird selbst heute noch Richard P. Feynman — Mitbegründer der Quantenelektrodynamik, Nobelpreisträger — gerne zitiert mit der Aussage, die Quantentheorie sei so verrückt, dass sie niemand verstehe.
Als er das seinen Studenten so sagte, war Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation schon 40 Jahre lang bekannt. Einstein kommentierte Feynmans Ausspruch kurz und bündig mit: Das ist doch offenbar Unsinn.
Nebenbei: Technologische Anwendungen der Quantenphysik machen heute rund ein Viertel des US-Bruttosozialprodukts aus.
Quelle: Heinrich Päs: Die perfekte Welle (Piper 2011), S. 28
Nebenbei: Es wird mir gelegentlich vorgeworfen, dass ich (als Nicht-Physiker) mir nicht erlauben sollte, Michio Kaku — einen inzwischen recht bekannten Professor für Theoeretische Physik — einer falschen Aussage zu bezichtigen.
Speziell bei Kaku aber hat man das Problem, dass Aussagen, die er in seinen populärwissenschaftlichen Büchern macht, oft allzu ungenau sind: Ungenau bis hin zu dem Punkt, an dem sie dann gravierend falsch werden.
So schreibt er etwa in seinem Buch Die Physik der unsichtbaren Dimensionen (Rohwohlt Taschenbuch 2013, Seite 228) wörtlich: Komplexe Zahlen sind Vielfache der Quadratwurzel aus -1. Nun weiß aber wirklich jeder Mathematiklehrer, dass das falsch ist (und auch warum es falsch ist). Tatsächlich sind nur wenige komplexe Zahlen — die sog. imaginären Zahlen — Vielfaches einer Quadratwurzel aus -1.
Gravierend falsch wird der Kollaps der Wellenfunktion — und die Semantik der Kopenhagener Interpretation — auch beschrieben auf Seite 138 des Buches Quantenphilosophie und Spiritualität von Ulrich Warnke.
Warnke behauptet dort Falsches, indem er schreibt: » Wenn eine Maschine Quantensysteme misst, bleiben die Ergebnisse so lange in einer Superposition, bis ein bewusster Mensch die Messung der Maschine beobachtet. … Es ist das Bewusstsein samt Unterbewusstsein eines Menschen, das die Wellenfunktion kollabieren lässt. «
Spätestens nachdem ich das las, wusste ich, dass Ulrich Warnke eher ein Esoteriker denn ein klar denkender Wissenschaftler sein muss.
Sollte es wirklich richtig sein, dass Warnke als Akademischer Oberrat an der Universität des Saarlandes auch Lehraufträge für Biophysik und Biomedizin hatte, kann man seine Studenten dort nur bedauern.
Ähnlich einzuordnen wie Ulrich Warnke ist Dieter Broers: Auch in seinem Buch Gedanken erschaffen Realität (4. Auflage 2012) finden sich an mehreren Stellen, z.B. auf Seite 40, ganz gravierend falsche Aussagen über angebliche Ergebnisse der Quantenphysik.
Auch Roger Penrose hält die Viele-Welten-Interpretation für unangebracht. Er sagt (Zitat aus Interview 2009):
“That’s what physics has always been: Explain what the world that we see does, and why or how it does it. Many worlds quantum mechanics doesn’t do that. Either you accept it and try to make sense of it, which is what a lot of people do, or, like me, you say no—that’s beyond the limits of what quantum mechanics can tell us.”
Völlig richtig beschrieben – auch hinsichtlich seiner Konsequenzen – wird der quantenphysikalische Messprozess (der Kollaps der Wellenfunktion) durch Thomas & Brigitte Görnitz auf den Seiten 100-102 ihres Buches Der kreative Kosmos, Spektrum Verlag 2002. Man liest dort:
… der Quantenmessprozess einen Verlust von Information bedeutet.
Dieser Verlust wird im Vorgang der sog. “Projektion des Zustandsvektors” deutlich, der oft recht dramatisch als “Kollaps der Wellenfunktion” bezeichnet wird:
Während die ungestörte gesetzmäßige Entwicklung der Möglichkeiten eines Quantensystems als Drehung seines Zustandsvektors verstanden werden kann, wird bei einer Messung nur ein “Schatten” des klassischen Faktums ermittelt: Der Zustandsvektor wird projeziert auf die Richtung derjenigen Zustände, die zur betreffenden Fragestellung gehören [gemeint sind jene, die die Messapparatur zu melden in der Lage ist]. Da jeder Quantenzustand unendlich viele Möglichkeiten darstellt, werden sie durch Projektion auf die wenigen verteilt, die eine eindeutige Antwort auf die Messfrage erlauben.
Das Messergebnis liefert die genaue Kenntnis des Zustandes, der infolge der Messung eintrat. Seine gesetzmäßige, ungestörte Weiterentwicklung entspricht erneut kontinuierlicher Drehung des Zustandsvektors.
Der Projektionsvorgang hängt davon ab, welche Frage die Messapparatur stellt. Durch den Messvorgang wird das Quantensystem gezwungen, einen Zustand zu haben, der auf die betreffende Frage eine sinnvolle Antwort erlaubt. Genau einer dieser wenigen Zustände wird der tatsächlichen Antwort entsprechen und ab sofort Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung sein.
Wenn mir ein Kollege den Zustand eines von ihm gemessenen klassischen Systems mittteilt, so ist es lediglich eine Frage meiner Sorgfalt, seine Aussage zu überprüfen: Wenn nämlich ein klassischer Zustand vorliegt, so wird jeder beliebige andere Beobachter densselben Zustand finden.
Nicht so bei Quantenobjekten: Teilt mir ein Kollege sein Messergebnis mit, so habe ich – wegen der mit jedem Messvorgang verbundenen Projektion – keine Möglichkeit, die Wahrheit seiner Aussage festzustellen. Genauer:
Wenn ich auf die gleiche Messfrage einen anderen Wert als den von ihm genannten finde, wenn ich also die gleiche Messung durchführe und ein anderes Ergebnis erhalte, kann ich mit Sicherheit behaupten, dass seine Aussage falsch gewesen sein muss [natürlich nur unter der Annahme, dass der Zustand sich seit seiner Messung nicht verändert hat]. Ergibt meine Messung aber den von ihm behaupteten Wert, so kann ich dennoch nicht gewiss sein, dass er bereits vor meiner Messung vorlag. Ich kann dann nur sicher sein, dass das System vor meiner Messung in einem Zustand war, der auf den durch mich erhaltenen projezierbar war. Kurz:
Anders als im klassischen Fall ist im quantenphysikalischen Fall die Aussage des Kollegen nicht als wahr nachweisbar, wenn sie richtig ist. Nur wenn sie falsch war, lässt sich das nachweisen.
Anmerkung: Görnitz sagt, dass die Messung einen Verlust an Information zur Folge habe. Ich würde es eher bezeichnen als einen Verlust bis dahin gegebener Möglichkeiten für die zukünftige Entwicklung des Quantensystems.
Immer wieder liest man, dass Einstein — der die Quantenphysik für unvollständig hielt — Physiker, mit denen er sprach, gefragt habe: “Glauben auch Sie, dass der Mond nur existiert, wenn wir ihn betrachten?”
Den Mond zu betrachten aber bedeutet, dass der Sehpurpur in unserem Auge vom Mond abgestrahltes Licht empfängt, diese Tatsache an unser Gehirn meldet, und das Gehirn dann sich daraus ein Bild des Mondes schafft.
Die korrekte Antwort auf Einsteins Frage kann also nur sein:
Nein: In Wirklichkeit existiert der Mond, auch wenn niemand ihn betrachtet. Unser Bild des Mondes allerdings (als Teil unserer Realität und nicht einfach nur als Erinnerung) wird tatsächlich nur konstruiert, solange wir ihn betrachten.
Der Unterschied zwischen Realität und Wirklichkeit wird erklärt auf Seite Realität und Wirklichkeit sind keineswegs dasselbe.
Interessanterweise gibt es inzwischen ein Argument von Sean Carroll, welches den Verdacht nahelegt, dass es Everetts viele — einander nicht kennenden, aber parallel zu einander existierenden — Welten doch auch in konkreterer Weise geben könnte als nur im Konfigurationsraum.
Man lese Carrolls Blog Post Energy Conservation and Non-Conservation in Quantum Mechanics.
Es sei nämlich so, dass ein Kollaps der Wellenfunktion nur dann verträglich mit dem Energie-Erhaltungssatz sei, wenn es um die Energie sämtlicher dieser Parallelwelten in Summe geht (!).